„Der Mann, der vom Sirius kam“: Karl-Heinz Stockhausen als Comic-Held

MusikLiteratur
Karl-Heinz Stockhausen (1928–2007) war ein Visionär der elektronischen Musik. Seine Werke sind akustische Herausforderungen. Was hat ihn dazu inspiriert? Welche Ereignisse in seiner Biografie haben sein künstlerisches Schaffen geprägt? Die Graphic Novel „Stockhausen – der Mann, der vom Sirius kam“ macht sich auf die Suche nach Antworten – und erzählt in beeindruckenden Bildern vom Leben des Komponisten.

Der Comic-Roman beginnt mit einer Überraschung: Denn auf den ersten Seiten schildert der Autor Thomas von Steinaecker nicht Stockhausens Kindheit, sondern seine eigene. Wir reisen ins Jahr 1989, mitten hinein ins oberpfälzische Oberviechtach. Von Steinaecker, damals zwölf Jahre alt, verbringt die Sommerferien mit Lesen, Fernsehen, Popmusik und Langeweile. Bis sein Vater ihm eines Tages eine Schallplatte schenkt: Stockhausens „Gesang der Jünglinge / Kontakte“. Für den Jungen klingt die beim ersten Hören zunächst „ziemlich beknackt“. Doch dann geschieht etwas Seltsames: Thomas von Steinaecker muss die Platte immer wieder hören. Fasziniert von Stockhausens wilden Kreationen, kauft er sich weitere Alben, liest seine Biografie.

Als Leser*innen tauchen wir mit ihm ab in Stockhausens Welt. Von Steinaecker schildert eine Kindheit in Kerpen, zeigt ein Leben zwischen Klavierunterricht und Hitlerjugend, dem Verlust der Mutter und traumatischen Kriegserlebnissen. Ereignisse, die auch Stockhausens künstlerisches Werk geprägt haben dürften. So schildert der Autor etwa, wie der damals Elfjährige das Grollen der Kampfjets beim Klavierspiel nachzuahmen versucht – bis sein Vater den „schrecklichen Krach“ unterbindet.

Für die einen Lärm, für Stockhausen Sternenmusik

In den folgenden Kapiteln begleiten wir Stockhausen auf seinem holprigen Karriereweg. Wir sehen, wie er als Knecht und Parkplatzwächter schuftet, bevor er ein Studium an der Musikhochschule Köln beginnt. In dieser Zeit lernt er kompositorische Verfahren wie Schönbergs Zwölftontechnik kennen, reist nach Paris zu Pierre Boulez und entwickelt erste eigene Stücke. Auf die Uraufführung seines heute legendären Orchesterwerks „Kontra-punkte” am 26. Mai 1953 im Kölner Funkhaus reagiert das Publikum allerdings entsetzt und empört. Stockhausen hadert, durchleidet eine frühe Schaffenskrise. Wie er diese überwindet und sich in den folgenden Jahren mit seinen Kompositionen immer wieder zwischen Skandal und Sensation bewegt, führt die Graphic Novel anschaulich vor Augen. Höhepunkte seines Oeuvres wie der „Gesang der Jünglinge“ oder „Gruppen für drei Orchester“ thematisiert Von Steinaecker ebenso wie Stockhausens Familienleben, seine Begegnung mit Mary Bauermeister oder seine Reisen nach Japan und Kalifornien.

Unterstützt wird die lesenswerte Geschichte durch die hervorragenden Zeichnungen von David von Bassewitz. Sie geben dem Erzählten noch mehr Tiefe und unterstreichen das Innenleben der Figuren. Sind die Panels etwa in dem Kapitel über Stockhausens Kindheit noch düster, sprudeln sie regelrecht über, wenn es um seine Musik geht: Schnörkel, Kleckse, Pfeile und lautmalerische Wörter wie „blubber, blubber“ springen durchs Bild. So gelingt es Von Bassewitz eindrucksvoll, Stockhausens Werke auf stummen Papierseiten zum Klingen zu bringen.

Immer wieder wird die Erzählung durch Einschübe aus Thomas von Steinaeckers eigener Biografie unterbrochen. Diese „Kontra-punkte“ – so auch der Titel einer Komposition Stockhausens – stören keineswegs, sondern bilden ein interessantes Gegengewicht. Sie zeigen zufällige Verbindungslinien und gravierende Unterschiede zwischen den beiden Protagonisten auf. Diese sehr persönliche Perspektive macht das Buch zu einer vielschichtigen Lektüre – besonders auch für Leser*innen, die mit dem Namen „Stockhausen” vorher nicht viel anfangen konnten.

„Stockhausen – der Mann, der vom Sirius kam“, von Thomas von Steinaecker und David von Bassewitz, Carlsen Verlag, 392 Seiten

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