Literatur

Wuppertaler Literatur Biennale 2024: Literatur aus der Region

04.05.2024
Am Regionaltag der Wuppertaler Literatur Biennale 2024 präsentieren Stimmen aus der Region ihre Texte, Geschichten und Gedichte zum Thema "Verschwinden". Es lesen: Christiane Gibiec, Marina Jenkner, Emily Jeuckens, Hung-min Krämer, Hans Werner Otto, Patrick Salmen, Andreas Steffens und Halim Youssef.

Christiane Gibiecs »Nedderend« spielt in den Jahren 1967 und 1968 im norddeutschen Oldenburg i.O. Vier Jugendliche wollen wissen, wie ihre Eltern die NS-Zeit erlebt haben – und stoßen auf Schweigen. Was hat der Vater von Micha und Ika als Besatzer in Norwegen gemacht? Was wussten die Eltern über die Konzentrationslager? Und was wurde aus den Sinti-Familien, die vor dem Zweiten Weltkrieg in der Nähe des Nedderend lebten und seitdem verschwunden sind? Als die Eltern von Tilde endlich über die Vergangenheit zu reden beginnen, eröffnet sich den Jugendlichen die Hölle von Auschwitz.

Hans Werner Ottos vier Wuppertaler Erzählungen erinnern an Verwandte, Bekannte, Nachbarn aus der Zeit der Naziherrschaft, in der Menschen und Orte verschwanden, und alles, was liebgeworden, zum Teufel ging. In »Westkotten« geht der Autor den Spuren des 1942 in der Ukraine gefallenen jungen Soldaten Willi Otto nach. Vom Bombenangriff auf Barmen 1943 liest man in Ilse und die anderen. Ilse war Patientin bei dem jüdischen HNO-Arzt, von dessen Schicksal »Rappoport« erzählt. Die Beziehung einer weiteren Patientin Dr. Rappoports zu ihrem Patenonkel, dem NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop, schildert »Brickendrop und das Patenkind«.

Marina Jenkner präsentiert eine Textcollage über die Psychologie des Verschwinden-Wollens: das Verschwinden aus dem eigenen Körper, das Verschwinden aus den eigenen Gedanken, das ungewollte Verschwinden aus der Heimat (Flucht). Anhand vorgetragener Ausschnitte aus ihren Büchern erlaubt Marina Jenkner Einblicke in das komplexe Innenleben ihrer Figuren. So erzählen »Nimmersatt und Hungermatt« sowie »Hungertochter, Himmelskind« davon, dass Frauen hungern, immer dünner werden, sich unsichtbar machen, als könnten sie damit aus dieser Welt verschwinden. Dazu passt die Geschichte von Undine aus »Blaue Ufer«, die aufgrund traumatischer Erfahrungen ihren Körper verlassen möchte. Traumata durch erlebte Flucht und eine nicht mehr existente Heimat liegen dem Roman »Die UnWillkommenen« zugrunde. Um verblasste Erinnerungen aufgrund von Demenz geht es in »Die Geschichtenlauscherin«.

In Emily Jeuckens Romanprojekt »Alma Mater« wacht eine junge Frau mit einem blauen Auge in ihrer Heimatstadt auf, wo ihr humanistisches Internat abgerissen wurde, ihre alten Freundinnen nicht mehr mit ihr sprechen und sie von Erinnerungen an ihre jung verstorbene Mutter heimgesucht wird. Nach Verlust und jahrelangem Eskapismus folgt die harsche Konfrontation mit der Realität: angesiedelt zwischen Mädchenschlafsälen und einstürzenden Einkaufszentren in der Provinz, zwischen Nostalgie und unzuverlässigen Erinnerungen an die surreale Jugend im Internat. Emily Jeuckens geht einer Frage nach, die schon in ihrer Kurzgeschichte »Das Gesicht im Kaffesatz« anklang: Was bleibt von uns selbst und anderen, wenn die Zuschreibungen verschwinden und Erinnerungen verblassen?

Der Mensch als Landbewohner kann sich der Faszination des Meeres nicht entziehen. Wer sich ihm aussetzt, den erwartet eines der letzten Abenteuer: eine Begegnung mit sich selbst. Von diesem Grundgedanken aus entwickelt Andreas Steffens in seinem neuen Buch ein Panorama des Denkens über das und mit dem Meer, das von der Antike bis in die jüngste Gegenwart reicht. Anhand zahlreicher Beispiele aus der Literatur- und Philosophiegeschichte zeichnet er nach, wie das Meer uns keine Ruhe lässt – und als stets in Bewegung befindlicher Fluchtpunkt auch heute noch immer wieder neue Perspektiven eröffnet.

Halim Youssefs Text »Bermuda-Dreieck« erzählt von der in seinen Geschichten wiederkehrenden Figur des »Ausländer Pascha«, handelt von »hier«, seinem jetzigen Ort, und »dort«, wo er früher lebte. Auf der Suche nach einer geeigneten Heimat kommt er zu dem Entschluss, einen dritten Ort zu wählen – das Bermuda-Dreieck – und verschwindet. Ebenfalls vorstellen wird Youssef sein neues Buch »Neunundneunzig zerstreute Perlen«, das kürzlich im Sujet Verlag erschienen ist. Darin geht es unter anderem um den Verlust und das Verschwinden von Dingen aus dem Leben der Hauptfigur, die zu verblassten Erinnerungen werden.

Hung-min Krämers neuer Gedichtband »Das ergibt sich dann« verortet das lyrische Ich an einer Position der Gegenwart und lässt zugleich viel Spielraum für Bewegung. Von diesem Startpunkt aus öffnet sich eine Sammlung von Texten, die immer genauer die aktuelle Lage justieren – doch die Lage ist das, was sich nicht justieren lassen will. Vor diesem Paradox kapituliert Hung-min Krämers Lyrik nicht, sondern findet neue Wege zwischen Gelassenheit und Revolte.

Der Wuppertaler Autor und Poetry Slammer Patrick Salmen präsentiert einen Querschnitt seiner beiden persönlichen Lieblingswerke: »Zwei weitere Winter«: »poetische Screenshots eines Lebens, dem allemal genug Zauber und Zaudern innewohnt, um seiner Verse würdig zu sein. Salmen hat sich in seiner Sprache eingerichtet. Hier entfalten sich leise auch die profansten Alltäglichkeiten in eingängiger Schönheit. Diese Gedichte hocken, unwiderstehlich sanft und traurig, an Haltestellen im Niemandsland und warten weißweintrinkend und rauchend auf den Bus.« (Ken Yamamoto)

»Und draußen die Welt«: Dieser Band vereint Kurzprosa und zahlreiche poetische Miniaturen. Geschichten, die sich mit dem Schreiben auseinandersetzen, über das Scheitern, die Faszination von Kränen und Strommasten und die Angst vor dem Vergessen. Geschichten über Väter, die Traurigkeit und den Zauber der Symmetrie. Geschichten über grüne Gießkannen. Vorwiegend über grüne Gießkannen.

Tagesticket (gilt für alle Veranstaltungen am 04.05.) buchen: https://www.wuppertal-live.de/User/224

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Wuppertaler Literatur Biennale 2024: Literatur aus der Region

04.05.2024

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